>tate für eltern >erfahrung >berichte >jakobs geschichte

 
Erfahrungsberichte: Nicoles (5/97) Geschichte

Niedergeschrieben und an tate.at geschickt von Nicoles Mutter. DANKE!

Nicole war kaum ein paar Stunden alt, da hat sie meinen Vater, jedesmal wenn er sie angeschaut hat, angelächelt. Es wollte niemand glauben, aber es war tatsächlich so. Sie war so ein süßes Baby, hat viel gelächelt und sehr brav geschlafen - die erste Woche. Dann ging es los: Sie hatte so "einen Zug drauf", dass es mir nicht mehr möglich war sie zu stillen. Aber den Sauger vom Flascherl hat sie abgelehnt, sich mehrmals erbrochen, und somit alle 1 1/2 Stunden "Nachschub" gebraucht, da man ja nie wusste, wieviel sie jetzt wirklich getrunken hatte. Nachdem sie dann überhaupt nicht mehr zu schreien aufgehört hat, hat sie mit sieben Wochen ihre erste feste Breinahrung bekommen - und war ruhig. Nur lang hielt diese Ruhe nicht. Stundenlanges Geschrei - bis der Opa gekommen ist. Der hat sie auf den Arm genommen und ruhig war sie. So zogen sich die Wochen und Monate, von den vermuteten Drei-Monats-Koliken bis zu den vermuteten Zahnschmerzen ab dem vierten Monat. Tatsächlich kamen die ersten Zähne aber erst mit zehn Monaten. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie schon stehen und ein wenig gehen, nachdem sie mit vier Monaten gesessen ist. Gekrabbelt ist sie das erste Mal einen Tag, nachdem sie komplett frei gegangen ist. Dann war nichts mehr vor ihr sicher. Aktionen, wie sich mit zwölf Monaten den Kindersessel zur Eingangstür bringen und draufklettern um die Türe zu öffnen, ebenso, wie sich Kopf über aus dem hohen Kindersessel fallen zu lassen, weil sie halt einfach raus wollte, waren an der Tagesordnung. Die Verletzungen hielten sich in Grenzen: rote und blaue Flecken und Beulen. In der Zeit in der sie gerade nicht irgendeinen Unsinn veranstaltet hat ist sie mir nachgelaufen und hat mich genervt. Gespielt hat sie eigentlich damals schon nicht.

Und ab dem achten Monat hat sie nicht mehr durchgeschlafen. Sie hat jede Nacht mehrmals aufgeschrien ohne dabei munter zu werden. Dies hielt dann an, bis vor wenigen Wochen und wurde nur gelegentlich mal für ein paar Tage oder Wochen unterbrochen. Also jahrelange Übermüdung für die Mutter. Aber sie hat deswegen tagsüber auch nicht mehr geschlafen, im Gegenteil. Gezählte dreißig Minuten. Man konnte sogar den Wecker nach ihr stellen! Ja, und das Essen war immer eine einzige Katastrophe. Sie wollte am liebsten gar nichts - alles hat sie wieder rausgewürgt. Trotzdem war es erstaunlich, dass sie nicht dürr war.

Nach einem Sommer, den wir ständig im Freien verbracht haben und in dem sie viel erlebt hat, weil ich sie als Alleinerzieherin immer bei mir dabei hatte, kamen ein paar Regenwochen, die die totale Katastrophe waren. Sie hat nur geweint und geschrien. Gott sei Dank kam sie dann mit 17 Monaten in den Kindergarten, da ich ein Monat später schon wieder arbeiten gehen musste. Sie hat sich sofort dort eingelebt und hat schon auf eigenen Wunsch ab dem zweiten Tag dort geschlafen. Man ist dort schnell auf sie aufmerksam geworden. Nicht nur, weil sie die Kleinste war, sondern weil sie sich besser als die Zweijährigen verständigen konnte. Sie hat schon Zwei-Wort-Sätze deutlich gesprochen, manchmal auch mal mehr. Und wenn sie etwas haben wollte, dann hat sie die Erzieherin bei der Hand genommen, dorthin geführt, wo das ersehnte Spielzeug war und genau hingedeutet. Außerdem hat sie bei allen angebotenen Aktivitäten mitgemacht. Die restliche Zeit ist sie an ihrer Erzieherin gehangen. Dies ging so weit, dass sie sich nicht mal mehr von wem anderen wickeln ließ oder sich sonst anfassen lassen wollte.

Kurz nach Beginn der Kindergartenzeit begann ihre "Trotzphase". Diese sollte anhalten bis zu ihrem vierten Geburtstag und zwar in täglichen Schreiexzessen die durchschnittlich 20 Minuten dauerten und in denen sie nichts und niemandem zurgänglich war. Natürlich nur zu Hause, denn außerhalb war sie ja das süsse, herzige Mäderl. Geglaubt, was für einen täglichen Horror ich zu Hause habe, hat mir natürlich niemand.

Als sie dann in die nächste Gruppe im Kindergarten wechseln sollte (waren noch jahrgangsgetrennt) wurde die erste Familiengruppe gegründet. Da Nicole so sehr an der Erzieherin gehangen hat, die diese übernommen hat, hat man beschlossen sie dort zu lassen, während der Rest ihrer Gruppe weiter ging. Leider hat das für uns schlimme Konsequenzen gehabt. Sie hat sich dann mit zweieinhalb bis drei Jahre benommen, wie man es sich eventuell von einem einjährigen Kind erwarten könnte, was mir aber generell fremd war, weil sie sich eben nie so benommen hat. Sie hat auch wieder Windeln gebraucht und sich als Älteste der Gruppe füttern lassen, während die Kleinen selber essen mussten. Außerdem hat sie begonnen, babyhaft zu sprechen, was sie nicht mal bei ihren ersten Worten gemacht hat. Und sie hat sich auch sonst immer öfters ein sehr babyhaftes Verhalten zugelegt. Außer, wenn sie gerade wieder mal so dahergeredet hat, wie man das eher von Vier- bis Fünfjährigen kennt. Diese Sprünge waren wirklich schlimm, weil man nie wusste: Habe ich jetzt ein Baby, eine Dreijährige oder eine Fünfjährige vor mir?

Im Herbst, mit 3,4 Jahren ist sie dann wieder in die Gruppe zurückgekommen, in der sie ursprünglich war und wo sie zu den Jüngsten gehörte. Mittlerweile war mir auch schon aufgefallen, dass sie von der Entwicklung (intellektuell wie auch grob- und feinmototrisch) den anderen Kindern in der Gruppe voraus war. Stutzig gemacht hat mich unter anderem, dass in dieser Gruppe Puzzles mit 54 Teilen die größten waren, während Nicole zu Hause welche mit 300 Teilen machte. So waren es einige Dinge, die dann schon schön langsam auffällig für mich waren. Nur ihr Interesse an Buchstaben (mit zweieinhalb Jahren) habe ich total abgewürgt, da es ja bekanntlich nicht gut ist, wenn Kinder sich zu früh mit soetwas befassen. :-/ Trotzdem hat sie als Dreijährige schon viele ihrer Zeichnungen (eigentlich nur Geschmiere, denn wirkliche Zeichnungen machte sie kaum) mit ihrem Namen signiert.

Als ich dann ein paar Monate vor Nicoles viertem Geburtstag so fertig war, weil diese Schreiexzesse immer häufiger vorgekommen sind, habe ich begonnen zu recherchieren. Ihr zappeliges Verhalten und die Probleme mit Autoritäten und Grenzen usw. haben mich auf die Idee gebracht, dass meine Tochter eventuell AD(h)S haben könnte. Bei der diesbezüglichen Internetrecherche bin ich auf das Thema "Hochbegabung" gestossen und habe dort mein Kind wiedergefunden. Plötzlich war mir einiges klar und viele ihrer Verhaltensweisen waren auf einmal verständlich.

Ich habe versucht, mit der Kindergärtnerin darüber zu sprechen, was diese aber nicht verstanden und mit der Meinung: "Ich habe mehrere solcher Kinder in meiner Gruppe, sie ist nichts Besonderes!" abgetan hat. Nun, etwas Besonderes war sie auch nicht - einfach nur anders. Die Leiterin des Kindergartens war dem aber offen und hat dann auch mal gemeint: Sie sollten sie früher einschulen. Da ich sowieso meinen Job gewechselt habe und nicht wusste, wohin ich kommen werde, habe ich Nicole aus dem Kindergarten nahe bei meiner Arbeit rausgenommen und in einen anderen in der Nähe der Wohnung gegeben. Gleich beim ersten Gespräch habe ich die Probleme, die im alten Kindergarten waren und auf die Verhaltensauffälligkeiten zu Hause angesprochen. Die Leiterin hat dann bei meiner Vermutung: "Mein Kind ist weiter, womöglich hb", nur vor sich hingemurmelt: "Überfordert." Gut, ich hab mal schwer geschluckt und dann bei der Kindergärtnerin einen neuen Versuch gestartet. Dort habe ich ein offenes Ohr bekommen. Sie hat sich auch ein wenig mit dem Thema "Hochbegabung" auseinandergesetzt. Anfangs ging es auch gut - aber bald waren wir wieder dort, wo wir früher waren: Nicole wollte nicht mehr in den Kindergarten, hat jede Nacht hysterisch im Schlaf geschrieen, geweint und gestrampelt.

Mittlerweile hatte ich auch einen Test, der erklärte, dass meine Tochter im Bereich begabt bis hochbegabt angesiedelt ist. Er hat uns aber nichts gebracht, denn der Kindergarten konnte nicht mehr für sie tun, als sie ab ihrem vierten Geburtstag an den Vorschularbeiten teilhaben zu lassen und im Herbst mit 4,4 Jahren dann offiziell als Vorschulkind zu behandeln. Es war aber noch immer zu wenig. Zumal Nicole nach den ersten beiden Malen Vorschularbeit gemeint hat: Mama, das ist langweilig, das kann ich ja schon alles - womit sie auch Recht hatte. Der Kindergartenunmut meiner Tochter ließ sich dadurch nur kurze Zeit auffangen. Da in diesem Jahr auch einige "schwierige" Kinder in der Gruppe waren, die die Zeit und Kraft der Kindergärtnerin mehr beansprucht haben, blieb mein, mittlerweile sehr angepasstes, Kind auf der Strecke. Alle Versuche in dieser Richtung etwas zu erreichen sind gescheitert - Schuld an unserem Dilemma war laut Kindergärtnerin ich selbst und meine Tochter hat weiterhin stumm gelitten. Nachdem auch nicht gerne gesehen wurde, wenn meine Tochter ihr Lesebuch oder andere Arbeitsmaterialen mitgenommen hat und ihr in dieser Richtung niemand entgegengekommen ist, trotz mehrmaliger Bitten meinerseits, hat sie es aufgegeben.

Ich war in der Zwischenzeit auf der Suche nach einer Schule, die meine Tochter mit 5,4 Jahren als Gastkind am Schulunterricht der 1. Klasse teilnehmen lässt. Nun, kurz gesagt - es war alles für die Katz. Anfangs immer Interesse und: sie soll mal kommen und mitmachen - wir wollen uns das anschauen. Nun, sie ist gekommen, in einer Schule einen Tag, in einer anderen Schule zwei Tage, alleine dortgeblieben. Bei wildfremden Menschen und in einer völlig fremden Umgebung und hat mitgemacht, was sie schon konnte - und das mit viereinhalb Jahren!

Aber man war der Ansicht, dass sie sozial noch nicht so weit sei. Nun, das Soziale war halt so eine Sache für sich. Sie war Anfangs immer ein fröhliches Kind, das gerne mit anderen zusammen war - und wenn sie denen nur nachlaufen konnte. Aber nachdem sie von ein paar anderen Kindern immer wieder mit Absicht abgegrenzt, beleidigt und dann auch geschlagen und getreten wurde, hatte sie klarerweise einen "sozialen Knacks", der sich so ausdrückte, dass sie anderen Kindern eher aus dem Weg ging und von vornherein annahm, dass alle ihr nur Böses wollen. Dennoch ist sie nie auf jemanden zugegangen und hat den geschlagen - sie wollte sich nur einfach nicht mehr ansprechen oder einbeziehen lassen.

In meiner totalen Verzweiflung habe ich mich an Frau Dr. Schwarz, Direktorin von der Volksschule Pfeilgasse in Wien, gewendet und sie um Rat gefragt und um Hilfe gebeten. Mittels eines Antrages an den Stadtschulrat für Wien wurde uns gestattet, an besonderen Anlässen oder Projekten der Schule teilzunehmen, worauf sich Nicole schon sehr freut und die restliche Zeit wird sie zu Hause bleiben. Sie geht jetzt seit einem Monat nicht mehr in den Kindergarten und schläft seither nach langem wieder einmal ruhig und ist auch sonst viel gefestigter in sich. Sie schreibt mit Begeisterung Mails und Briefe (phonetisch), rechnet ihre Aufgaben für die Mathe-AG, an der sie teilnimmt, und liest selber schon kurze Geschichten.

Seit einem Jahr ist sie auch in psychologischer Behandlung. Einerseits, weil sie so ziemlich vor allem Angst hat, was es nur gibt und andererseits, weil sie bis vor kurzem nie gespielt hat. Und das war, glaube ich, das Schlimmste für sie. Denn im Kindergarten wie zu Hause hieß es immer: geh spielen, mach irgendwas. Aber sie konnte es gar nicht. Nach einem 3/4 Jahr Therapie fängt sie jetzt in den letzten Wochen an sich gelegentlich mal mit Puppen oder Phantasiespielen zu beschäftigen, anstatt immer nur mit Mini-Lük, Lernspielen und PC-Lernspielen. Ob das wohl an der Therapie liegt - oder an der Tatsache, dass sie jetzt nicht mehr im Kindergarten ist und ständig gezwungen wird sich mit etwas zu beschäftigen, das ihr nichts gibt?

Tja, das war unser bisheriger Leidensweg. Ich wünsche mir, dass er jetzt auch beendet ist und nicht wieder beginnt, wenn sie in eine weiterführende Schule kommt.

>>> Ich möchte auch einen Bericht schreiben!